Aventurische Sagen & Legenden

Dergelmund

Literaturliste


Die zwölf Tränen der Heiligen Efferdane

Kurzinformation:
Autorin: Marianne C. Herdt
Ort: Bethana, Liebliches Feld (Westaventurien)
Art: Heiligen-Legende
Siehe auch: «Kirchen, Kulte, Ordenskrieger» Seite 41
(DSA-Spielhilfe von Fantasy Productions, Erkrath, ersch. Herbst 2000)

Schon vor langer Zeit gab es in der Region, die heute das »Liebliche Feld« genannt wird, reiche Städte mit festen Mauern. Und damals wie heute fuhren große Segelschiffe mit kostbarer Fracht aus Land und Städten über das Meer. (Aber damals war natürlich alles viel größer, bunter und besser!). Die Bewohner waren glücklich und reich.

Einer der mächtigsten Familien stand Efferdane vor, eine Frau von edlem Geblüt, gesegnet mit einem klugen und erfolgreichen Gatten. Sie hatten wohlgeratene Söhne und Töchter, welche auf den Schiffen mitfuhren, zu handeln und den Reichtum der Familie zu mehren. Der Gott ihres Hauses war seit alters her Efferd, der ihre Kinder, ihren ganzen Reichtum sicher von Küste zu Küste geleitete.

Doch eines Tages, als wieder eines der stolzen Schiffe den Hafen verließ, zog am Horizont eine dunkle Wolke auf. Rasch kam sie näher, wurde dunkler und trug große Wellen mit sich. Bald wurde der Himmel verdeckt von der Schwärze, die in ihrem Innersten rötlich zu glühen schien und die Wellen wurden zu mächtigen Wogen, die das Schiff überrollten und in die Tiefe zogen. Nichts blieb davon übrig, kein Tau, keine Planke und keiner der Seeleute.
   Als die Einwohner der Stadt dies sahen, hob großes Wehklagen an, denn bald ein jeder hatte Verwandte oder Freunde an Bord. In tiefer Trauer opferte man Boron, den Seelen der Ertrunkenen gnädig zu sein. Auch Efferdane vergoß bittere Tränen im Tempel des Efferd, denn sie hatte eines ihrer Kinder verloren.

Einen Mond später war ein weiteres Schiff bereit, auszulaufen. Die Einwohner der Stadt beteten zu Efferd, daß er die Reise begünstigen, und zu Phex, daß er die Handelsfahrt gelingen lassen möge. Als das Schiff den Anker lichtete und den Hafen verließ, stand die ganze Bevölkerung der Stadt am Hafen, unter ihnen Efferdane, denn abermals war eines ihrer Kinder an Bord.
   Doch wieder hatte das Schiff gerade den schützenden Hafen verlassen, als die dunkle Wolke am Horizont aufzog. Schneller, als das Schiff wenden konnte, kam sie näher und abermals trug sie große Wogen mit sich, die das Schiff zerbrachen und mit Mannen und Frauen in die Tiefe riß. Bis in den Hafen konnte man das Brausen und Gurgeln vernehmen, das das Unheil begleitete und manche Welle netzte die Füße der am Hafen stehenden Menschen.
   Abermals klagte man und trauerte um die Toten und um den Verlust der Waren. Abermals opferten die Menschen Boron und bot Efferd reiche Gaben zur Besänftigung. Efferdane aber vergoß Tränen im Tempel des Efferd.

Wieder einen Mond später war ein weiteres Schiff gerüstet und schickte sich an, den Hafen zu verlassen. Stumm standen die Menschen am Hafen und sahen zu, wie es die Segel setzte und aufs offene Meer fuhr. Stumm winkten die Männer und Frauen an Bord den Daheimgebliebenen zu, darunter abermals eines der Kinder Efferdanes.
   Und wieder zog der Sturm auf, verschlang das Schiff und alles Leben und ließ nichts zurück. Weinend zogen sich die Menschen vor den großen Brechern zurück, die in den Hafen eindrangen, liefen nach Hause und haderten mit den Göttern, von denen sie sich verlassen glaubten. Efferdane aber verlor ihren Glauben nicht, ging in den Tempel des Efferd und vergoß bittere Tränen im Angesicht der Delphin-Statue auf dem Altar. Und es war, als ob der Delphin mit ihr weinen wollte.

Das Unheil wiederholte sich fortan Mond für Mond. Elf Schiffe verschwanden für immer im Meer, der Hafen war schwer beschädigt von den Wogen, die ihn imer wieder überrollten und die Stadt versank in Trauer und Angst. Handel und Handwerk kam zum Erliegen und selbst für die Feldarbeit fehlte es an Händen. Die Speisen wurden karg, die Lager waren leer und die Herzen schwer. Es gab keine Familie, die nicht den Verlust von Angehörigen zu tragen gehabt hätte.
   Doch obwohl Efferdane nun alle ihre Kinder und selbst ihren Gatten auf See verloren hatte, hielt sie weiter fest an ihrem Glauben an die Güte und Macht Efferds. Tag um Tag, Mond um Mond kam sie in den Tempel, kniete betend vor dem Delphin, bis die Knie blutig aufgerieben waren, doch sie merkte es nicht in ihrem Schmerz und sie sah es nicht durch ihre Tränen. Ihr Blut sammelte sich in einer Senke vor dem Altar und vermischte sich dort mit den Tränen des Delphins. Niemand sah es, denn außer Efferdane kam niemand mehr in den Tempel des Efferd.

Und es kam der Tag, an dem die Not so groß wurde, daß man das letzte Schiff der Stadt beladen mußte mit den letzten Gütern, die man besaß. Dieses zwölfte Schiff war klein und alt, die Mannschaft bestand nun aus den letzten Söhnen und Töchtern der Stadt, Väter und Mütter, die all ihre Angehörigen verloren hatten. All ihr Hab und Gut, alten Schmuck und edle Gewänder nahmen sie mit, um es zu verkaufen und von fernen Städten Nahrung herbeizuholen.

Efferdane aber betete im Tempel zu Efferd, wie sie noch nie zuvor gebetet hatte. Bebend klagte sie dem Delphin den Verlust ihrer Familie und vieler Freunde. Innig bat sie um Verzeihung, so sie oder jemand anders vor Efferd gesündigt haben sollte. Sie beteuerte ihren Glauben und beschrieb ihren Schmerz über die Verzweiflung der Menschen, die ihr das Herz zu brechen drohte. Die Tränen flossen ihr in kleinen Bächen über das Gesicht, sammelten sich als salziges Gewässer zu ihren Knien und umflossen schließlich die Statue.
   Da sprach der Delphin: »Höre, meine Tochter! Dein Schmerz dauert mich. Wisse, daß die Götter den Menschen Deiner Stadt nicht zürnen. Das Unheil kommt aus den tiefsten Tiefen mit großer Macht. Nur fester Glaube kann es wieder in die Tiefe zwingen. Die Kraft Deiner Tränen liegt Dir nun zu Füßen. Nutze sie!«
   Und Efferdane sah auf zu dem Delphin, der steinern und unbeweglich vor ihr stand. Und fester denn je glaubte sie, denn vor dem Delphin, dort, wo sich ihre Tränen gesammelt hatten, lagen zwölf edle Steine, bläulichgrün schimmernd wie das Wasser des Meeres.
   Hastig dankte sie Efferd für die Gabe, nahm die Steine und rannte hinaus zum Hafen, dorthin, wo das Schiff lag. Schon wollte man die Planke einziehen, als Efferdane an Bord gerannt kam und den Männern und Frauen an Bord die Steine zeigte. Doch niemand glaubte ihr. Da beschloß sie, mitzufahren und niemand konnte sie hindern.

Und abermals war das Schiff nur kurz auf See, da zogen dunkle Wolken vom Horizont heran. Dunkler denn je brausten sie auf das kleine Schiff zu und mit ihm wogte dunkel das Meer, doch das Schiff hob und senkte sich mit den Wellen wie eine Nußschale. Kein Mast, keine Planke brach, kein Segel riß.
   Angsterfüllt klammerten sich die Seefahrer an ihr Schiff und begannen zu beten, wie seit langem nicht mehr. Zornig brüllte der Sturm, als er die Segel nicht zerfetzen, wild schäumte Wasser, als es das Holz nicht brechen konnte. Und inmitten des Unheils schien sich ein Fels zu erheben und mit einem bösen, roten Auge blickte etwas auf das Schiff, das ihm zu trotzen wagte.

Da trat Efferdane an die Reling des Schiffes, die Steine fest in ihre Hand und blickte tapfer in das Auge. Und sie sprach zu dem Auge, doch niemand konnte es hören, denn der Wind trug ihre Worte davon. Dann lief sie die Reling entlang rund um das Schiff und verteilte die Steine und steckte sie fest in Ritzen und Tauwerk des Schiffes.
   Das Auge aber folgte ihren Taten und brausend und tosend wurde der Sturm stetig stärker. Wütend zerrte er an Masten und Tauen und an den Planken, an die sich die Seeleute in Todesangst krallten.
   Als Efferdane aber den letzten Stein in das Schiffsholz steckte, brach eine riesige Welle über das Schiff herein und unter Kreischen und Wimmern sank das Auge des Untiers in die Tiefen des Meeres. Mit ihm verging der Odem des Wesens, die dunkle Wolke über dem Schiff. Bald war die See so ruhig und klar, als ob nichts geschehen wäre.
   Da jubelten die Mannen und Frauen an Bord und eilten zu Efferdane, um ihr zu danken. Efferdane aber lag sterbend am Bug des Schiffes, die Steine fest in der Hand.

Nur wenige Wochen später kehrte das Schiff in die Heimatstadt zurück und mit ihm Glück und Erfolg für die Stadt. Die Menschen jubelten und baten die Götter um Verzeihung für ihre Zweifel. Ihrem letzten Wunsche gemäß wurde Efferdane im Meer bestattet, dort, wo sie Mann und Kinder verloren hatte. Die zwölf Steine aus Efferdanes Tränen aber legte man in eine Schale vor den Delphin im Tempel des Efferd.

Hoch

Nachbemerkung:

Seit 1022 n.B.F. (29 Hal) werden die Steine im Efferd-Tempel zu Dergelmund ob-dem Meere verwahrt.

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Text © 1999 Marianne C. Herdt, Tübingen, Graphik & Layout © 1999-2007 Marianne C. Herdt. Alle Angaben und Verknüpfungen ohne Gewähr. Datum der letzten Änderung: 2007-03-19 Die Bilder und Texte dieser Domain unterliegen den urheberrechtlichen Schutz und sind nur zur privaten, nichtkommerziellen Verwendung freigegeben. Jede Art der Reproduktion, sei sie manuell, mechanisch oder digital (Ausgenommen hiervon ist die Verwendung zur Ausgestaltung privater Rollenspielrunden) sowie Verbreitung in jeglicher Art unterliegt dem Einverständnis der jeweiligen Urheber.