[Der Darpatische Landbote]Numero 17 (Rah 30 Hal/Januar 2001), S.18

Dergelmund

Literaturliste


Der Sohn der Gerbigs

- von Marianne C. Herdt -

Kurzinformation:
Ort: Stadt Dergelmund-ob-dem-Meere
Zeit: Tsa 29 Hal
Personen:
- Junivera T. von Binsböckel, Festungskommandantin zu Efferdsträne
- Das Ehepaar Gerbig
- Alrik Fischer
- Der Hafenmeister (vorbeieilend)

Hafenpanorama

Es war später Vormittag, als Alrik am Hafenstrand saß und die Stellen seines Netzes flickte, die ihm sein heutiger Fang zerbissen hatte. Früher war das nicht so häufig der Fall gewesen, erinnerte er sich grummelnd, höchstens, wenn mal wieder ein richtig kapitaler Fisch drin gesessen hatte. Aber heute beißen selbst die kleinsten Fische, wenn sie mal einen Schluck von der Schwarzen See intus hatten. Und schmecken mochten die Biester auch nicht mehr recht - ein Viertel des Fangs hatte er wieder wegwerfen müssen. Futter für die Möwen. »Hoffentlich verrecken die Fischdiebe dran ...« murmelte er.

Flink ging ihm die Flickarbeit von der Hand und langsam besserte sich seine Laune. Er genoß es, in der Sonne zu sitzen und dem bunten Treiben am Hafen zuzusehen, begann bald zu summen. Viel war ja nicht los, jedenfalls nicht so viel wie in Perricum oder wie er's dort vermutete, aber ihm reichte es.
   Der Hafenmeister eilte vorbei, grüßte mit einer Handbewegung und verschwand in einer Seitengasse. Alrik grinste und schickte kaum hörbar seinen Gruß hinterher: »Hetz nicht so, Mann, stirbs' früh genug.«

Kaum hatte er seinen Takt summend wieder gefunden, kamen die alten Gerbigs die bröckelnde Kaimauer entlanggeschlurft. »Wern wohl wieder zum Markt geh'n.« wettete er mit sich. »'N Heller, daß sie wieder Leut' belabern ...«
   Unzählige Male hatte er bei sowas schon zugesehen. »Kinners hier, Famillje da, bla bla bla, zur Heirat is der Mensch nur da ...« Er sah verlegen grinsend hoch. »Äh, 'schullijung, Travia!«

Als er wieder zur Kaimauer sah, hielt er in seiner Flickarbeit inne. Die Gerbigs waren inzwischen näher gekommen. Von der anderen Seite des Hafens her sah er eine stämmige Frau heranmarschieren. Bewundernd sah er auf das blinkende Waffengehänge an ihrer Seite. Dann erkannte er das Wappen am Barett:
   »Leck' mich, die Binsböckel! Wenn das man gutgeht!« Hie und da aufgeschnappte Gerüchte schossen ihm durch den Kopf. Unverheiratet sollte sie sein, unter all den Soldaten in der Festung drüben die einzige Frau ... Gespannt sah er zu, wie sich die beiden Parteien näherkamen - links die Gerbigs, rechts die Binsböckel.

Die Distanz wurde schnell geringer. Die Gerbigs schienen ihr Ziel ins Auge gefaßt zu haben. Schnell erkannte Alrik, daß sich die beiden direkt vor ihm treffen würden, keine zwölf Schritt entfernt und nur durch die Kaimauer von ihm getrennt. Hastig senkte er den Kopf und konzentrierte sich auf seine Arbeit. Leise zählte er mit: »Fümpf, vier, drei, zwo, ...«

»Travia zum Gruße, Euer Hochwohlgeboren!«

Das mußte die Gerbig sein.

»Edelgeboren. Zum Gruße.« murrte die Binsböckel zurück und schien schon weitergehen zu wollen.

»Euer Gnaden, erlaubt uns alten Leuten untertänigst eine Bitte zu stellen.«

»Mh?«

»Ei, habt herzlichen Dank, Euer Gnaden, also, wißt Ihr ...« sprudelte die Gerbig sofort los.
   »Habt vielen Dank, Euer Gnaden« echote der olle Gerbig hinterher.

Das war's. Jetzt hatten sie sie in der Zange. Emsig fädelte Alrik weiter am Netz herum.

»Wißt Ihr, Wohlgeboren, es handelt sich um den Trauhold, Travia steh' ihm bei, unser'n Sohn, wißt ihr, wir machen uns Sorgen um ihn, um unseren lieben Trauhold!«
   »Viele Sorgen, Tag und Nacht nur Sorgen, schlafen kaum noch.« echote der olle Gerbig wieder.

»Edelgeboren. Was ist mit ihm?«
   Die Binsböckel war hörbar irritiert.

»Ihr seid doch im Militär und Hochgeboren, von Adel und so und habt das Kommando über viele Soldaten und unser Trauhold ist doch noch so jung, wir machen uns halt so viele Sorgen um ihn.«

»Sind so besorgt, Travia steh' ihm bei.« klang es im Hintergrund.

»Ja, äh, nein, Edel... ach, was ist denn nun los mit ihm?«

'Oha, jetzt wird se ungeduldig', dachte Alrik, 'gleich rummst's bestimmt'.

»Ach, das wißt Ihr ja noch garnicht, nein, woher auch, das könnt Ihr bestimmt nicht wissen, wo Ihr doch so viele Soldaten befehlt, nein, also sowas, verzeiht, Euer Gnädigstgeboren! Ja, also unser Traule, also so nennen wir unser Trauholdlein immer, unsern Trauhold, der arme Junge der is doch jetzt schon sooo lange fort, weit weg im Krieg bei dem Militär und dabei kann unser Traule doch keiner Fliege was zuleide tun.«
   »Keiner Fliege nicht, der liebe Junge ...« bildete der olle Gerbig gleich den Refrain.

Alrik zuckte zusammen, konnte aber gerade noch den Fluch unterdrücken, der ihm über die Zunge kommen wollte. Er hatte sich mit dem Spleiß gestochen. Verstohlen leckte er das hervorquellende Blut vom Finger. Dann setzte er, in der Hoffnung weiter unbeachtet zu bleiben, seine Arbeit rasch fort.

»Er heißt also Trauhold und ist beim Heer? Bei welcher Einheit?«

»Jaja, beim Heer, beim Militär, die kämpfen da mit Waffen gegen diese furchtbaren Geister und Dämonen und böse Menschen und bestimmt auch Orks und Oger und herrje, mir wird ganz Angst und Bang, wenn ich nur daran denke, ich weiß nicht wo, ach, wenn er nur mal schreiben tät, ach, wo er doch so fleißig dran geübt hat ... Und dabei, Travia steh' ihm und uns bei, ist er noch nicht einmal verheiratet!«
   »So schön hat er geschrieben, das Traule, ach, wo mag er nur sein ...« sinnierte der olle Gerbig nach.

»Ja und, was soll ich da tun, wenn ihr nicht einmal wißt, wo der Junge ist?«

»Oh, Euer Hochgeboren wird doch bestimmt Mittel haben, das herauszufinden oder Euer gnädiger Gemahl, der hat doch sicher auch einen hohen Posten beim Militär? Wir wären tief in Eurer Schuld, fändet ihr unser Traule und noch mehr, wenn er hier bei uns sein könnte oder zumindest bei Euch in der Festung, wo er sicher ist, ihm nichts passieren kann.«
   »Ja, da wär' er sicher, ganz bestimmt, da könnt' ihm nichts passieren ...«

»Ich bin nicht verheiratet und ohne Einheit kann ich gar nichts machen und selbst, wenn ...«

»Wie? Euer Hochgeboren ist nicht verheiratet? Aber - Ihr lebt doch in der Festung bei all den Männern dort und alt genug seid Ihr gewiß, daß Ihr Euch einen Gatten nehmen könntet! Habt Ihr denn nicht auch das Bedürfnis nach einem Heim, und Kindern, schaut, wie unser Traule, so lieb!«

Nun war die Binsböckel endgültig aus dem Tritt gebracht. Alrik versuchte, ohne den Kopf zu heben, einen Blick auf die Szene zu erhaschen.
   Da stand sie, kräftig, nobel und nach Luft schnappend wie ein Salm an Land. Der Spleiß in Alriks Hand zitterte, als sich Alrik mühsam das Lachen verbiß. 'Gniii - Ich halt's nich aus, jetzt kommt das wieder - Ooh, ihr Götter, helft, daß ich nich losprusten muß ...!'
   Im Netz entstand ein wirres Garnknäuel. 'Hu? Au, Schiß, nu darf ich die fimpf Maschen wieder dröseln. Gerbigmaschen, jau, muß ja schiefgehn!' Hastig nestelte er weiter.

»Euer Hoheit haben keinen Gemahl? Oh, wie traurig!« kam nun der olle Gerbig in Fahrt, »Ach, unser Traule hat uns immer sooo viel Freude beschert: Schon als er ganz klein war, ach das Tappen der kleinen Füße auf der Stieg' und das Lachen, aah, er hat so gern gelacht ...«

Sofort sprudelte auch die alte Gerbig weiter: »Ich kann euch sagen, Euer Hochwohlgeboren, und er hat so lieb mit der kleinen Berlinde von den Wiesgolds nebenan gespielt, ach war das nett anzusehen, wenn die zwei im Hof bei'nand waren. Unser Traule sollte ja die Berlind dann auch mal heiraten, weil die doch so gut zueinander paßten, sie mit ihren goldnen Zöpfchen und er - er hat nämlich auch helle Haare, müßt Ihr wissen, ganz so wie ein Scheit Holz. Ach das wär' ein Paar geworden, oh, Travia hätt's bestimmt gefallen.«

»Wa...«

»Holzöchslein hab' ich dem Jungen geschnitzt,« salbaderte der olle Gerbig, nochmals munter geworden »zwei Holzöchslein und jeden anders bemalt und der Berlind' einen Wagen dazu. Ham sehr gern damit gespielt, meiner Treu, wie wenn sie schon ein Paar wären ...«

Alrik war ratlos. Eigentlich war er fertig mit der Arbeit. Aber aufstehen konnte er ja schlecht, denn dann wären die Gerbigs auf ihn aufmerksam geworden - und das, wo die gerade so richtig in Fahrt waren:

»Ach, eine Schand' ist es, nu ist unser Traule weg, in der Fern' im Krieg und auch Ihr seid unvermählt. Oh, das ist gar nicht nach dem Gebote Travias, das könnt Ihr mir glauben, allein zu bleiben ist nicht nach ihrem Willen! Jaja, heutzutage mißachten ja viele die Gebote, leben in unschicklichen Verhältnissen, aber Travia ist's bestimmt nicht recht! Dabei, erlaubt, wenn ich's so offen sag', seid Ihr doch so stattlich anzuschau'n, und wird doch wohl der eine oder and're Herr von Stand euch schon gefallen haben? Aber nach Travias Gebot müßt Ihr die Händ' zum Lebensbund Euch geben, wenn Ihr Euch näherkommen wollt. Schaut mich an, zu schnell kommt das Alter, schafft Euch ein Heim, solang Ihr noch so jung seid, zu zweit läßt sich das Leben besser tragen ...«

»Ruhe im Glied!« donnerte da plötzlich die Binsböckel los und sofort schwiegen die Gerbigs.

Alrik war überrascht. Schnell löste er noch eine Masche auf, um weiterhin beschäftigt zu erscheinen. So also mußte sich die Binsböckel anhören, wenn sie ihren Soldaten Befehle erteilte. Wie ein Gewitter!

»Was geht es euch an, was ich tue? Bei aller Achtung eures Alters, ich weiß schon selbst , was ich zu tun habe! Und was euren Trauhold angeht, so kann ich nichts für euch tun! Ihr habt ja nicht einmal gesagt, wie alt er ist!«

»Einunddreißig, Euer Gnaden.« stammelte die Gerbig eingeschüchtert.

Alrik riskierte nochmals einen Blick. Die Binsböckel schnaufte, lief rot an und donnerte weiter.
   »Bei allen Göttern! Euer Sohn ist älter als ich, da wird er schon auf sich aufpassen können! Und dafür haltet ihr mich auf? Zum Gruße!«
   Mit militärischer Zackigkeit drehte sich die Binsböckel zur Seite und marschierte energisch davon. Ratlos blieben die Gerbigs stehen.

Alriks Fuß kribbelte. Zu lange hatte er in der selben Position gesessen. Langsam verlagerte er sein Gewicht, stützte sich dabei mit der Rechten ab.

»Alrik Fischer!«

'Oh nein!', dachte Alrik entsetzt, 'Jetzt hamse mich entdeckt!' Hastig legte er Netz und Werkzeug beiseite, stand auf und rannte zum Boot.

»Und wann wirst Du endlich unter die Haube kommen?« rief ihm die Gerbig hinterher.

Tief tauchte er die Riemen ins Wasser und zog kräftig durch. Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er das Hafenbecken hinter sich ließ ...

Hoch

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