Aventurische Sagen & Legenden

Gluckenhang

Literaturliste


Der Elbenraan

Kurzinformation:
Autorin: Friederike Stein
Ort: Glaukenfall, Gluckenhang, Trollzacken (ehem. Fstm. Darpatien, Mittelreich, Westaventurien)
Art: Legende
Siehe auch: «Die Baronie Gluckenhang» (Baroniebeschreibung), Kap. 7
(F. Stein, Tübingen; 1997/8)

Hoch oben in den Wäldern des Glaukenfalls liegt ein Waldsee oder "Raan". Wundersame Pflanzen soll man dort finden, doch wird er selbst von den kühnsten Jägern gemieden.

Aber einst gab es im Angauer Grasland eine junge Rinderhirtin, die hatte nichts als ihr Pferdchen. Es hatte den Mut eines Schlachtrosses und die Wendigkeit einer Sharizad, und wenn die Darpad'ra auf seinem Rücken schlief, trat es so sanft auf wie der Nebel, der aus den Auen schleicht.

Doch weder die Hirtin noch das Pferd sahen das Wühlerloch, in das das Pferdchen trat, und im Sturz brach es sich beide Vorderbeine. Habt ihr je ein Pferd schreien hören? - so schrie das Pferdchen vor Schmerz. Und die Hirtin schrie mit, denn sie wußte wohl, daß es nur eines gab: dem Pferdchen den Dolch in den Nacken zu bohren und es von seinen Schmerzen zu erlösen. Ein Hirte, der mit ihr war, bot sich an, das zu tun, aber sie schüttelte den Kopf und nahm ihm das Messer aus der Hand. Sie gab dem Pferd zu trinken, daß es einschlief.

Dann lief sie los. Drei Tage lief sie und drei Nächte, in einem fort, bis sie in den Firbann kam, und noch einmal drei Stunden, bis Wald und Wolken sie ganz umfingen. Da war sie in der anderen Welt. Ihren eigenen Schritt hörte sie nicht mehr im Moos, aber das Rinnen und Tropfen des Wassers an an den Felsen, das Knacken der Stämme, die sie anstarrten, das Rascheln der Flechtenbärte, die in einem Wind wehten, den sie nicht spürte.

Da lag er vor ihr, der See, von dem sie einst hatte erzählen hören. Wie ein schlafendes Auge lag er da, dunkel und unergründlich. Vorsichtig stieg sie hinab.
   Doch als sie sich hinabbeugte, um Wasser zu schöpfen - war es Wasser? oder war es das Glas, das Ingerimm in seinen Essen schmilzt? - da schlug der Raan sein Auge auf und blickte sie an. Am liebsten hätte sie sich ins Moos verkrochen, unter die Flechten geduckt, hinter der Rinde der Stämme versteckt, wie es die Käfer tun, wenn sie den Atem Firuns spüren! Ein kalter Hauch wehte sie an und das Gefühl, das nur der kennt, der schon einmal in Hesindes Nacht durch das verschneite Land gelaufen ist, nichts als das kalte Funkeln von Phexens Diamanten über sich und das weite Grasland um sich. Der Blick des Auges durchdrang sie ohne Anteilnahme, ohne Mitleid, und sie erstarrte.

Dann blinzelte das Auge, unendlich langsam, und ein Sonnenstrahl brach durch den Nebel. Sie fühlte sich wie eine Blume, die in der warmen Frühlingssonne erwacht, als auf einmal hinter ihr jemand leise lachte. "Ein Elf!" staunte sie, denn so ein Wesen kannte sie nur aus Geschichten, wie da vor ihr auf dem Moos saß.
   "Heilung suchst du? Das Leben suchst du? - Was ist für euch schon das Leben?" Und der Elf lachte, der Wald lachte, das Zittergras lachte, und die schwarzen Wurzeln der Bäume bildeten Lachfältchen um den See.
   "Für mich ist es ja nicht. Und das Leben ist so viel." Und sie erzählte dem Wald und dem Zittergras und dem Elfen von dem Leben, das sie und ihr Pferdchen führten, von den Witzen des knisternden Feuers am Abend, von der Schönheit der Morgensonne über den Hügeln und von der schieren Freude, im Galopp übers Gras zu fliegen. Und der Wald und das Zittergras und der Elf hörten ihr zu und verstummten.
   Als sie aber geendet hatte, da gab ihr der Elf ein Fläschchen, so schwarz, braun und grün wie das Wasser des Sees. Und sie sah ihm ins Auge und sah in den Abgrund der Ewigkeit, und ihr wurde schwindlig.

Als sie wieder zu sich kam, da hatte sich das Auge geschlossen, der Wald schlief, und das Zittergras schien sogar zu schnarchen. Das Moos aber hatte einen Teppich ausgerollt, auf dem sie bis auf die Höhe und wieder hinunter laufen konnte. Fast wäre sie über die Farnfransen gestolpert.

Es war Nacht, als sie bei ihrem Pferdchen ankam, aber es hatte die Augen geöffnet, und die Sterne spiegelten sich darin. Als sie sein Maul berührte, wurde die Flasche zu Wasser, das es begierig trank, nur ein wenig blieb an ihren Händen kleben, das schmierte sie auf die gebrochenen Beine. Und als am Morgen die Sonne aufging, scherte sich niemand um des Praios' Pracht, sondern alles schaute auf die Hirtin und ihr Pferdchen, die da beide standen und schon ungeduldig warteten.

Ihr meint, sie seien uralt geworden? Vielleicht. Aber Boron holt die Hirten früher als andere, und warum hätte er hier eine Ausnahme machen sollen? Ich glaube aber, daß sie durstiger vom Wind tranken als andere, daß das Grün des Grases ihnen tiefer leuchtete, und manchmal sahen sie in eine Pfütze, und sie erwiderte ihren Blick. Und ich glaube, sie hatten weniger Angst, als Golgaris Schwingen heranrauschten. Das ist alles.

Hoch

Text © 1997 Friederike Stein, Tübingen, Graphik & Layout © 1999-2007 Marianne C. Herdt. Alle Angaben und Verknüpfungen ohne Gewähr. Datum der letzten Änderung: 2007-07-30 Die Bilder und Texte dieser Domain unterliegen den urheberrechtlichen Schutz und sind nur zur privaten, nichtkommerziellen Verwendung freigegeben. Jede Art der Reproduktion, sei sie manuell, mechanisch oder digital (Ausgenommen hiervon ist die Verwendung zur Ausgestaltung privater Rollenspielrunden) sowie Verbreitung in jeglicher Art unterliegt dem Einverständnis der jeweiligen Urheber.