Numero 34 (Efferd-Tsa 1026 n.B.F. / Juni 2004), S.20 |
- von Marianne C. Herdt -
Im Dämmerlicht des Neukörner Nachmittags wartet eine einsame Gestalt vergeblich auf die Heimkehr eines der Schiffe. Der alte Mann, ein runzliger Forre, Vater einer der Seeleute an Bord, wartet bis Einbruch der Nacht, dann geht er nach Hause.
Es ist nichts Ungewöhnliches an diesem Bild. Oft kehren Boote oder Schiffe erst am nächsten oder übernächsten Tag heim, manchmal, wenn die Winde widrig waren, gar erst viel später. Und bei Schiffen, die auf längere Fahrt waren, sind Verspätungen seit Beginn der Dunklen Zeiten die Regel geworden.
Am Mittag des zehnten Tages legt der alte Mann erste Opfergaben in die Schalen der Bildstöcke am Hafen. Die vier Kinder seiner Tochter wissen nichts davon. Das Schiff kehrt nicht heim.
Am Nachmittag steigt er, beladen mit einer prall gefüllten Tasche und einem einfachen Tonkrug, den Gottespfad empor zur Nordwand des Hafens. Er geht zur Klause des Borongeweihten, legt, ohne ein Wort mit dem Geweihten zu wechseln, am dortigen Schrein einen halben Laib Brot, einen Klumpen Salz und ein einfaches Modell des vermißten Schiffes ab. Er hat es in der Nacht zuvor selbst geschnitzt. Das Schiff soll Boron bei der Identifizierung der Seeleute helfen, sollten sie ... Er verläßt den Schrein und geht nordwärts weiter, an die Felsenküste Efforas. Dort stehen zwei Bildstöcke von Efferd-Heiligen, beide in längst vergangenen Zeiten Seeleute wie er selbst. Leise, kehlig, stimmt er ein Loblied auf Efferds Reich an, während er seine restlichen Opfergaben ablegt. Er setzt sich vor die Stelen, den Blick auf See gerichtet, die Rechte auf seine Tasche, die Linke auf seinen Krug gestützt, und wartet.
Zwei Tage später holen die Kinder den Großvater ab. Sie fahren selbst zur See und kennen die Gefahren. Die zwei ältesten gehen auf große Fahrten, die zwei jüngeren sind Fischergehilfen. Sie stützen den alten Mann auf dem steilen Pfad nach unten, nach Neukörne. Auf ihrem Weg nach Hause begegnen sie zwar anderen Einwohnern, doch spricht sie niemand an. Es ist so Sitte, denn sie sollen ungestört an die vermißte Person denken, sie nach Hause ziehen und beten ...
Die Familie wartet noch einmal zwölf Tage. Dann beginnt die Trauerzeit.
Niemand wird je erfahren, warum das Schiff nicht heimkehrte. Viele sagen, es ist besser so -- heutzutage.
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