[Dergelmunder Schiffsglocke]Numero 1 (Herbst-Winter-Frühling 1022 nBF / 29 Hal / Winter 2000), S.33:

Dergelmund

Literaturliste


Nepomuk Schwarz & Munk

Episode IV: Der Auftrag

-- von Marianne C. Herdt & Elmar Wilde --

Kurzinformation:
Ort: Stadt Dergelmund-ob-dem-Meere
Zeit:
Personen:
· Nepomuk Schwarz, Mechanikus
· Munk, sein Goblin
· Junivera T. v. Binsböckel, Festungskommandantin zu Efferdsträne
· Eine Fischerin

~o~

Es war der zweite Tag nach dem Erneuerungsfest. Die bunten Wimpel an den Häuserfassaden waren größtenteils abgehängt, nur einige wenige hingen noch, vom feuchten Seewind labbrig geworden, von den schlechter erreichbaren Giebeln herab. Kühl und feucht war es, obwohl das Praiosmal bereits einen guten Spann hoch am Himmel stand - eine fahlgelbe Scheibe hinter grauweißen Wolkenschleiern.
   Eine stämmige Frau stapfte schweigsam am sich allmählich mit Leben füllenden Hafen entlang. An ihrer Seite, schwang, kaum verdeckt vom grauen Wollumhang, ein nur wenig verziertes Schwertgehänge, an den Füßen trug sie solide Soldatenstiefel. Einzig das blaue, wallend befiederte Barett mit dem angesteckten Wappenschild ließ vermuten, daß sie keine gemeine Soldatin war.
   An einem Holztisch hielt sie plötzlich inne. Die dahinter sitzende Besitzerin hatte sich gerade daran gemacht, den heutigen Fang zu putzen und zum Verkauf auszubreiten. Ein kleines Geldstück wechselte von Hand zu Hand, und die Fischerin angelte von einem kleinen Feuereimer ein Holzspießchen, an dem ein Stück Fisch stak. Die Frau mit dem Barett biß vom Fisch ab, sprach etwas, und die Fischerin begann zu gestikulieren. Eine beringte Hand führte eine Grußbewegung durch, dann marschierte die Soldatin weiter.

Kurze Zeit später wanderte die Frau mit dem Barett den Darpatweg entlang. Die Fachwerkgebäude beiderseits des Weges wurden nun weniger, oft waren es nur noch einfache Bauten, die als Lagerhäuser oder Werkstätten genutzt wurden. Wie in den meisten Teilen Dergelmunds markierte auch hier ein trübes Rinnsal die Mitte des schmalen, teils matschigen, teils mit Kies befestigten oder ausgebesserten Weges. Nur in wenigen Gassen hatte man sich den Luxus gegönnt, die Abwässer aus Drainagen und Häusern in einen festen Kanal zu leiten. Bei diesem abgelegenen, von Karrenspuren zernarbten Weg hatte es sich offenbar nicht gelohnt. Anstelle dessen hatte man in größeren Abständen mit groben Bohlen überdeckte Querrinnen in den Weg gegraben, in denen das Wasser Richtung Darpatufer ablaufen konnte.
   «Rabensch...!» entfuhr es der Frau, als sie in eine tiefe Pfütze trat. Ein länglicher Klumpen, wohl ein abgenagter Knochen, hatte das Rinnsal zu einer größeren Lache gestaut. Angewidert stützte sie sich mit der Rechten an eine Mauer und schüttelte das linke Bein. Vor ihr verschwand eine Ratte unter einer Bretterwand. Mißmutig stapfte sie weiter, nun auch öfter nach unten schauend, den sich dem Flußufer annähernden Weg entlang.

Schließlich, kurz vor dem Beginn des Treidelpfades hielt sie inne und blickte zu einem von Bäumen und Sträuchern leicht verdeckten Gelände links des Weges. Dort standen nicht weit voneinander entfernt drei Gebäude: ein Wohnhaus, ein Werkzeugschuppen und ein Bootshaus. Aus den Rauchabzügen der ersten beiden stieg jeweils eine Rauchfahne in den fahlgrauen Himmel. Auf dem Schild am Bootshaus, daß wesentlich neuer wirkte als das Gebäude, das es zierte, stand: BLANKENVOSS SCHIFFSZIMMERMANN UND TEILHABER
   «Das muß es sein.» murmelte sie, verließ den Weg und stapfte über den aufgeweichten Grund. Wie es ihr der Hafenarbeiter erklärt hatte, wandte sie sich dem Werkzeugschuppen zu, der wohl vor dem Winter noch ein wenig ausgebaut worden war. Nach zwei kräftigen Klopfern drückte sie, ohne auf Antwort zu warten, den Holzverschluß der Tür nach unten, fand die Tür unverriegelt, und trat ein.

Der Lärm, der ihr entgegenschlug, ließ sie zunächst instinktiv an ihr Schwert greifen und einen Sprung zurück machen. Das nächste, was sie wahrnahm, war eine tiefe und ungemein wütend klingende Stimme, die den übrigen Lärm mühelos übertönte:
   «MUUUnKK! Du hirnlose kleine Qualle, was zum Klabautermann hast du nun wieder angerichtet!»
 Junivera v. Binsböckel, deren Augen sich langsam an das schummerige Licht im Inneren der Kate gewöhnten, musterte kurz den sechs auf sechs Schritt messenden Raum, von dem ein Teil durch einen Vorhang abtrennbar war. Die prominentesten Einrichtungsgegenstände waren ein Bett, der große gemauerte Ofen, mehrere Kisten, ein Tisch und das sehr niedrig wirkende Schreibpult, hinter dem sich der Benutzer zu voller Körpergröße aufgerichtet hatte und gerade mit einer neuen Schimpfsalve loslegte. Die Festungskommandantin schien er gar nicht zu bemerken.
   «Sie Dir das an du Tölpel! Du hast die «Fels in der Brandung IV, V und VI» zerschmissen. Nein rühr sie nicht an, ich mach das selber!»
   Ungestüm kam eine kurze, aber breit gebaute, Gestalt hinter dem Pult hervorgestürmt und näherte sich dem Bereich hinter der Tür, den Junivera bislang nicht einsehen hatte können. Ihr Blick, der dem mit einem weiten Hausmantel bekleideten Zwerg gefolgt war sah, nun, was sich hinter der Tür abgespielt hatte. Dort lagen wild durcheinander geworfen mehrere Holzeimer, ein vermutlich von der Wand gerissenes Bord, einige Spielzeugschiffe aus Holz, die aber weder in Flaschen ruhten, noch den gängigen Proportionen entsprachen und ein vor sich hinwimmerndes, rotes Häuflein Elend:
   «Vergebung Herr, Meister Nepomuk! Der gute Munk nur saubergemacht. Munk nur geklettert auf Eimer zu machen sauber Schiffe von Meister Nepomuk, Bitte Vergebung!»
   Mittlerweile hatte der Zwerg eines der Schiffsmodelle aufgehoben und untersuchte es vorsichtig, laut vor sich hin murmelnd. Von seiner Besucherin schien er immer noch keine Notiz genommen zu haben. Gerade als die Edle v. Binsböckel, die Mühe hatte sich ein Grinsen zu verkneifen, ihn auf diesen Umstand hinweisen wollte, tauchte das Gesicht, oder besser die Fratze, des rötlichen Etwas aus dem Durcheinander am Boden auf und näselte mit seiner hohen Fistelstimme:
   «Herr Meister Nepomuk, Vergebung, da Besuch für Herr Nepomuk stehen.»
   Die kurze stämmige Gestalt fuhr herum und wollte gerade wieder zu einer Beschimpfung ansetzen, als sie der groß gewachsenen Kriegerin in der Tür ansichtig wurde. Die Verwünschungen blieben aus, statt dessen entstand eine kleine Pause, dann räusperte sich der Zwerg und sagte zu Junivera gewandt:
   »Ihr wünscht?»

Die Dämmerung hatte mittlerweile von Dergelmund Besitz ergriffen. In den Häusern waren die Lampen angesteckt worden und die Bewohner nutzen die Zeit vor dem Abendessen, um sich zu besinnen, oder einfach um Zeit mit der Familie zu verbringen. In der Hütte am Wasser war bis vor kurzem angeregt diskutiert worden. Nepomuk Schwarz begann Gefallen an der groß gewachsenen Juvinera v. Irgendwasböckel zu finden. Für einen Menschen hatte sie ihr Anliegen erstaunlich präzise, knapp und sachlich vorgetragen.
   Als sie die Hütte verlassen hatte und Munk mit dem Abräumen des Tisches begann, rieb sich Nepomuk das von einem schwarzen Vollbart überwucherte Kinn und dachte über den Auftrag nach.
   Von den Steinen, die er von jenem verlassenen Brocken Landes irgendwo im Südmeer mitgebracht hatte, auf dem er mit diesem Nichtsnutz von Munk den besten Teil von sechs Jahren festgesessen hatte, waren drei von vier Teilen bei einem Juwelier in Perricum verkauft worden. Mit dem Erlös hatte Nepomuk sich bei dem Schiffszimmermann Blankenvoss eingekauft und das Material für seine Studien bezahlt.
   Pergament war immer noch sündhaft teuer, von den vielen Kerzen, die er über den Winter verbraucht hatte, ganz zu schweigen. Da eine Auftragsschwemme auf der Werft im Augenblick nicht in Sicht war, mochte es recht nützlich sein, sich durch die Arbeit für die Efferdsträne ein wenig Zubrot zu verdienen.
   Außerdem war Nepomuks berufliches Interesse geweckt. Eine Festung auf einer Insel war schließlich schon recht nahe an dem, was er sich unter dem idealen Seegefährt vorstellte. Eine Schwimmende Festung. Und eine solche Festung mußte schließlich auch bewaffnet werden. Warum also nicht, quasi im trockenen, schon etwas Erfahrung beim Bau von Geschützen sammeln, die er später dann auf seine anderen Projekte übertragen konnte.
   In Detailfragen allerdings waren die Verhandlungen mit dieser Menschenfrau recht mühselig gewesen. Nein, sie wollte nicht den Prototypen der «Fels in der Brandung IV», der es ihr spielend erlaubt hätte, alle Angreifer mit einem Rammsporn zu erledigen und nein, von einer «Hydromatischen» Ladevorrichtung war sie auch nicht zu begeistern gewesen, schließlich, so hatte sie gesagt, sollte die Burgbesatzung ja auch in der Lage sein, mit den Dingern umzugehen, nicht wahr!
   In den Entwurfs- und Detailfragen hingegen hatte sie dem wettergegerbten Zwergen keinerlei Einschränkungen gemacht. Sie hatte sogar ein recht interessantes Konzept angeregt, das etwas mit der Verwendung von Spanneisen zu tun hatte, wie es für diese neumodischen Degen und Rapiere verwendet wurde. Natürlich war ihr Vorschlag völlig unausgereift gewesen, schließlich war es nicht möglich, ein ausreichend langes Spanneisen herzustellen, aber in einer Verbundbauweise mit Holzschienen wäre es theoretisch durchaus denkbar, beliebig lange Spannbögen für die Geschütze herzustellen.
   Hmmm, Schwarz nippte noch einmal an seinem Bierkrug. Soweit war alles in Ordnung. Grimherz, ein fähiger Metallurg, aber etwas engstirnig, konnte die Spanneisen und die anderen Metallteile fertigen. Brauchbares Holz gab es in der Gegend. Ein Seilmacher war in der Stadt ansässig und die anderen Materialien würden sich auftreiben lassen. Er, Nepomuk Schwarz würde die Geschütze entwerfen und hier im Bootshaus zusammenbauen.
   Etwas unsicher war sich Schwarz bei der Frage des Zeitaufwands, und wesentlich unsicherer bei der Frage der Kosten. Es war immerhin schon acht Jahre her, daß er eine «Verdingungsordnung für Ingenariusgilden-Baumeister» in der Hand gehalten hatte. Er würde darüber nachdenken müßen, bis sie wiederkam.

Hoch

Der Nepomuk Schwarz & Munk-Zyklus:

Dergelmunder Schiffsglocke Nro. 1 (Herbst-Frühling 1022 nBF /Winter 2000)
Dergelmunder Schiffsglocke Nro. 2+3 (Fir.-Phe. 1023 nBF /1. Quartal 2001): Inhaltsangabe
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